Die Vespa rollt - 
                              bald auch in Deutschland

 

In meiner Plauderei über den Motorroller in Nr. 18 versuchte ich nachzuweisen, dass es zwar ein schwieriges Unterfangen ist, die Wünsche des Fahreres von morgen zu definieren, dass es aber unter allen Umständen verfehlt ist, sie nur aus dem Gesichtswinkel des Fahrers von heute zu betrachten. Der Motorroller spricht eine Bevölkerungsschicht an, die sich den Wagen nicht leisten kann und die dem Sportgerät Motorrad teilnahmslos oder gar ablehnend gegenüber steht.

Dass die Zahl dieser Freunde des billigen, bequemen und betriebssicheren fahrbaren Untersatzes für den bescheidenen Geldbeutel sehr gross ist, ist kaum zu bezweifeln. Dass das Motorfahrrad ihre Wünsche nur in sehr bescheidenem Umfang erfüllt, ist sicher. Ob der Motorroller die optimale Lösung darstellt, kann nur die Zukunft zeigen. Die erstaunlichen Erfolge des Motorrollers im Ausland, vor allem in Italien und Amerika und neuerdings auch in Frankreich können nicht bestritten werden. Es ist kein Geheimnis, dass sich zahlreiche führende Köpfe der deutschen Motorradindustrie sehr lebhaft für die Entwicklung  des Motorrollers interessierten. Aber es bleibt erstaunlich, dass trotz sehr frühzeitiger Fühlungsnahme verschiedener deutscher Werke mehrere Jahre vergingen, ehe ein erstzunehmender Versuch zum Bau eines Motorrollers in Deutschland gestartet wurde. Jetzt hat die Solinger Fahrradfabrik J. A. Hoffmann in Lintorf das Nachbaurecht für die wohl bekannteste Motorrollerkonstruktion, die Vespa, erworben und will Anfang 1950 die Serienfabrikation aufnehmen. Wir werden also bald Gelegenheit haben, aus eigener Erfahrung zu beurteilen, welche Lücke der Motorroler in der Motorisierung zu schliessen vermag. Es wird für uns eine der reizvollsten Aufgaben sein, die Vespa in einer gründlichen Prüfung kennenzulernen und ihre Fahreigenschaften und Leistungen zu analysieren. Wir zweifeln nicht daran, dass die ungewöhnliche Vitalität des Mannes, der sich dieser Aufgabe verschrieben hat, sie auch mit Energie und Weitsicht lösen wird. Ein kurzer Besuch in Lintorf, wo in wenigen Jahren aus einem alten Walzwerk ein ausserordentlich leistungsfähiges und glänzend eingerichtetes Fahrradwerk geschaffen wurde, kann diese Überzeugung nur bestärken. Eine kurze Probefahrt mit einer Original-Vespa kann natürlich noch kein Urteil über die Konstruktion ergeben. Aber es war für mich doch eine Überraschung, wie schnell man auf dem ungewohnten Gefährt zuhause ist, und wie wenig der fehlende Knieschluss empfunden wird. Die spielend leichtgängige Schaltung, die extrem weiche Federung und der wirklich überraschende Schmutzschutz gegen den Boden hinterlassen jedenfalls einen nachhaltigen Eindruck.

Der Motor liegt unter dieser formschönen Verschalung und wird durch einen kräftigen Ventilator gekühlt. Etwas ungewohnt ist der rechtsliegende und nach vorn durchzutretende Kickstarter, der sich aber bei einiger Übung vom Sattel aus bedienen lässt.

Bei hochgeklappter Haube erkennt man deutlich den Stirnräderantrieb über das Ziehkeilgetriebe auf das Hinterrad, die lange weiche Schraubenfeder und den ungewöhnlich grossbemessenenTeleskopdämpfer.

I Die Vespa führt stets ein Reserverad mit sich.

Die ursprünglich als Gummitorsionsfeder gebaute Vorderradaufhängung der Vespa hat sich bei den neuen Modellen in eine "gezogene* Schwinghebelfeder mit langer Straubendruckfeder abgewandelt.

Der breite Plattformrahmen der Vespa mit den aufgesetzten Gummileisten bietet den Füssen einen sicheren Halt. Es ist erstaunlich, wie schnell man sich an den fehlenden Knieschluss gewöhnt. Der kleine Hebel bestätigt die recht wirksame Fussbremse über einen Bowdenzug.

Peregrina stellt fest, dass man sich auch mit einem hellen Kleid, gefahrlos auf die Vespa setzen kann.

Die linke Verschalung des Hinterrades bietet Raum für einen ungewöhnlich grossen Werkzeugkasten, in dem sicher auch noch Platz für leichtes Handgepäck übrigbleibt.

Die einseitig aufgehängten Räder sind wie beim Wagen leicht abnehmbar. Die leichte Zugänglichkeit hat hier ihre besondere Berechtigung, den die Vespa führt stehts ein Reserverad mit sich.

Die Schaltung der Vespa erfolgt durch den Drehgriff über ein Gestänge. Dieser etwas ungewöhnliche Weg hat eine besondere Leichtgängigkeit ermöglicht. Die exakte Kinematik war wohl bei den ersten Modellen erforderlich, weil hier die Arretierung im Drehgriff lag. Jetzt liegt die Gangarretierung unmittelbar im Getriebe.

Unter dem breiten und bequemen gut gefederten Satel liegt die besonders sorgfältig gesicherte Einfüllöffnung für den Tank.

Entnommen der Motorsport / Motorradwelt, 3. Jahrgang, 1. Oktober Heft