Roller Mobil Kleinwagen - Mai 1958

Unser Test:

Vespa 150 Touren und GS

Die Vespa wurde bereits 1946 konstruiert, seitdem jedoch in Einzelheiten erheblich weiterentwickelt. Das deutsche Tourenmodell hat das gleiche Fahrwerk wie die GS (=Grand Sport), mit grösseren 10 Zoll Rädern statt der 8 Zoll Räder der italienischen Normalmodelle und der früheren deutschen Ausführung. Die Vespa kam in Deutschland bis zum Zusammenbruch der Firma Hoffmann auf ca. 40 000 Stück; sie brauchte dann wieder eine Anlaufzeit, um sich erneut durchzusetzen. In Augsburg wurden bis jetzt ca. 19 000 Vespen gebaut. In der Weltproduktion ist die Vespa mit Abstand das meistgebaute Motorzweirad: Im April 1956 lief die millionste Vespa vom Band, und dieser Tage wird schon die 2 000 000ste Vespa präsentiert.

Gründlich gefahren:

Die Vespa ist ein sehr eleganter Roller, in der Form ebenso wie in der konstruktiven Anlage. Ihr hervorstechendes Merkmal ist raffiniert-geniale Einfachheit, mit glatten Flächen, wenig Einzelteilen, geringem Gewicht, klarem Aufbau. Von vorn nach hinten: Vorderrad einseitig an kurzer Schwinge geführt, Hinterrad an Triebsatzschwinge, Räder austauschbar, nach Lösen  von vier Muttern abzunehmen. Schutzblech für Vorderrad, Frontblech läuft glattflächig durch als Bodenblech bis zu den seitlichen Verkleidungen von Motor (rechts) und Batterie-Handschuhfach (links), zentraler Kastenträger der selbsttragenden Karosserie beengt den Fussraum nicht, zeigt sich nur als längsaufende Stufe, an der rechts der Fussbremshebel sitzt.

Stärkere Anwinkelung des Fronblechs - von oben betrachtet - verbesserte die Linienführung gegenüber der früheren Ausführung mit den 8 Zoll Rädern noch um einiges. Am Frontblech dicht über dem Vorderradschutzblech das Horn, richtig nach vorn gerichtet, Scheinwerfer hoch und mitschwenkend am Lenker, der als Hohlkörper ausgebildet ist und nicht nur das Tachometer,  sondern auch unsichtbar sämtliche Seilzüge für Gas und Bremse (rechts), Kupplung und Schaltung (links) aufnimmt, dazu Abblendschalter und Hornknopf. Eine beispielhaft elegante Lösung; so radikale Glattflächigkeit (verbunden mit Schutz der Seilzüge) bietet nur die  Vespa. Im Scheinwerfer der Zünd-Lichtschalter als Einsteckschlüssel. Licht gibt es nur bei laufendem Motor.

Lenkerschloss bei der Test-GS extrem leichtgängig: konnte sich in Fahrt schliessen, rastet zum Glück aber nur in Endstellung. Schlüssel bleibt bei geöffnetem Schloss fest stecken; gute Gedächtnisstütze. Schloss unbedingt einrasten lassen!

Unter dem Sitz, nach vorn gerichtet, Kraftstoffhahn mit Reservestellung, daneben Starthilfe (Zugknopf betätigt regelrechte Starterklappe), darunter Karosserieklappe, hinter der bei der Touren-Vespa der Vergaser (lange Ansaugleitung!) mit Luftfilter und Hahn, bei der GS nur Hahn und Ansaugmündung sitzen.

Unter der Sitzbank (Aufklappen nach Betätigen eines Fingerhebels rechts hinten unter der Bank) oder bei der Touren-Vespa zwischen den Einzelsitzen (Sitzbank Aufpreis 25 DM) der Tankverschluss, sicher schliessend mit Flügelmutter, vorn am Aufbau Gepäckhaken, Aktentasche steht dabei auf dem Boden, stört aber nicht, da reichlich Platz. Motor nach Abnehmen der rechten Verkleidung (kein Werkzeug nötig, aber etwas Würgerei) tadellos erreichbar. Links verschliessbarer Handschuh- und Batteriekasten. Recht praktisch; aber nicht für Sachen, die gegen Säuredunst empfindlich sind.

Der Mittelständer hebt sehr hoch aus und sackt tief ein - müsste sich endlich einmal verbessern lassen. Die Sitzposition auf der Vespa ist anders als bei anderen Rollern: Der sehr kurze Roller hat hohe Sitze, der breite Lenker ist ziemlich nahe am Fahrer. Man greift mehr nach unten als nach vorn, woran man sich von anderen Rollern her gewöhnen muss, was man aber alsbald als angenehm und ermüdungsfrei schätzen lernt. Der Fahrer hat die Vespa jedenfalls tadellos in der Hand, der Lenker zwingt ihn nicht, auf Sitzbank oder Sitz zurückzurücken, die Stellung der Füsse wird allenfalls durch durch die Fussbremse kommandiert. Charakteristisch ist wohl die Position linker Fuss vorn, rechter zurückgesetzt; sie ergibt besonders guten Kontakt. Sitzt das Reserverad quer hinter dem Frontblech (gut für die Vorderradbelastung!), so kann langen Leuten der Knieraum mal knapper werden; in diesem Falle sollte man das längsgestellte Reserverad der GS wählen, wozu man dann allerdings einen Heck-Gepäckträger braucht, weil die Aktentasche dann keinen Platz mehr hat.

Auf den "Fussschluss" des längsgestellten Reserverads haben wir nie Wert gelegt. Der Mitfahrer sitzt gut, hat allerdings die Füsse vor die Seitenverkleidung zu setzen. Unsere Test-Mitfahrerin (1.60 Meter) brauchte keine besondere Fussstütze, für kürzere Beine gibt es Stützen als Zubehör. Ideal für die Vespa der bei uns verbotene Quersitz, beim Längssitzen ist aber jedenfalls guter Kontakt mit dem Roller gesichert und unsere Mitfahrer empfanden die Position als bequem.

Die Vespa-Modelle haben Kickstarter. Wir wünschten uns schon vor Jahren immer wieder einen E-Starter, stellen aber plötzlich speziell für die Vespa in unseren Reihen eine Opposition fest: zum genial-einfachen Roller gehöre auch ein genial-einfacher Starter. Immerhin: der Vespa-Starter dreht den Motor sehr kräftig und mehr als vier Umdrehungen durch, Anspringen bei der Touren-Vespa unbedingt auf den ersten Tritt, bei der kalten GS bei kaltem Wetter spätestens auf den dritten. Starthilfe wird nicht lange bebraucht, kann meist gleich nach dem Anspringen wieder ausgeschaltet werden.

Sauberer Leerlauf, leichtes Schütteln bei Leerlaufdrehzahlen, schon bei geringem Gasgeben und dann bis in höchste Tourenzahlen aber völlige Laufruhe, völlige Vibrationsfreiheit, leiser Auspuff, kein Ansauggeräusch. Das ist die gummigelagerte Triebsatzschwinge; alle Achtung! Kupplung nicht besonders leichtgängig hinzubekommen (Vorsicht: nicht zu viel nacharbeiten, sonst springen die Gänge auf geringsten Druck heraus); um so wichtiger wären richtig angelegte Hebel. Die setzen aber bei der Vespa viel zu lange Finger voraus, wie auch der Fussbremshebel nicht weiter auf die Anatomie Rücksicht nimmt. Die Handhebel müssten sich aber mit Vorsicht hinbiegen lassen, näher an den Lenker.

Fahrwerk: Wer vom Motorrad oder anderen Rollern herkommt, kann zunächst entsetzt sein, weil er die geringe Vorderradlast spürt. Gewohnheitssache; was jedenfalls am häufigsten gegen die Vespa ausgespielt wird, der seitliche Motor, tut den Fahreigenschaften gar nichts (nur ein ganz leichtes Hängen beim Freihändigfahren). Und die Lenkungsauslegung ist tadellos, die Vespa führt freihändig sauber geradeaus, sie ist trotz der nicht allzu grossen Federwege auch von Kopfsteinpflaster nicht aus der Ruhe zu bringen, die Hinterradfederung ist weicher als früher (man braucht keine Schwingsättel als Zusatzfederung), und auch das leichte Vorderteil ist einwandfrei gefedert (leichtes Ansprechen durch richtige Schwingenanlenkung!). Für die Touren-Vespa wünscht man sich keine Verbesserung des Fahrwerks, auch wenn man einen scharfen Massstab anlegt, die GS ist natürlich etwas übermotorisiert; man kennt für echte 85 km/h und Bergab-100 km/h weitere und ruhigere Fahrwerke. Die GS ist aber ein Hobby; für Leute, denen es Spass macht, in ultraleichtem Fahrwerk wirklich was drin zu haben. Zweckmässig als idealer Fahr-Stuhl ist die Touren-Vespa. Womit von den Motoren zu reden ist:

Vespa GS: Vier Gänge und schier endlose Drehfreudigkeit (7500 U/min!) erlauben kesse Starts und gute Uebersetzungsanpassung an Steigungen. Wie eine wilde Turbine dreht der Motor bis in höchste Höhen, dabei gar nicht laut, und wenn auch den Beschleunigungs-Sekunden bei einem 150er Grenzen gesetzt sind, so macht die GS doch Spass durch die Art, wie sie ihre Leistung hergibt. Lange Einfahrzeit mit übertrieben hohem Mischungsverhältnis muss man in Kauf nehmen, Wunder kann man nicht erwarten (das Licht z.B. reicht trotz hohem Scheinwerfer für die Fahrleistung gerade noch aus), aber die GS ist jedenfalls ein bemerkenswertes Motorfahrzeug, dem man allerhand sportliche Freude abgewinnen kann.

Touren-Vespa: Da ist die Vespa in ihrem ureigensten Element. Der stets leise Motor hat die Leistung auch bei unteren Drehzahlen, braucht keinesfalls ein Vierganggetriebe, ist unerhört sparsam (langer Ansaugstutzen, auch ein altes Rezept) und braucht sich im heutigen 50 km/h-Stadtverkehr seiner echten 70 km/h nicht zu schämen. So leicht, so wendig, so ruhig, so sparsam und so handlich bekommt man sobald kein anderes Motorzweirad, und der Milionen-Erfolg der Vespa wird jedem klar, der einmal ein paar Wochen diesen braven Fahr-Stuhl benutzt. Und immerhin: elegant ist sie auch. Bei der Langreise langweilt sie auf der Autobahn, wo man schon aus 150ccm doch noch 5 bis 10 Extra-km/h erwartet, umso braver ist der Motor fürs Reisen auf der Landstrasse, wenn man etwas sehen will.

Die Bremsen der Vespa sind auch der GS-Leistung angemessen, für die Normal-Vespa sind sie sehr gut. Häufig neigen sie zum Quitschen (anscheinend besonders hinten). Dagegen sollte das Werk unbedingt etwas tun.

Alles in allem: Die GS ist ein Hobby für Leute, die einen kessen leichten Roller haben wollen, die Touren-Vespa ist ein idealer Gebrauchsgebenstand, handlich und auch mit einem formalen Pfiff, ohne den die Sache keinen Spass machen würde. Mögen die Geschmäcker in der Rollerwelt verschieden sein: bei der Vespa weiss man genau, woran man ist. Und das ist viel!

Technisch betrachtet:

Fortschrittlicher Ingenieurgeist und grosses konstruktives Können offenbaren sich auch im Rollerbau am überzeugendsten dort, wo die geforderte un dem gedachten Verwendungszweck tatsächlich entsprechende Gesamtfunktion mit sparsamsten technischen Mitteln erreicht wurde. Man braucht nach einem Musterbeispiel für die hohe Kunst  des Fortlassens in der Fahrzeugtechnik nicht lange zu suchen, denn im ganzen modernen Rollerbau ist neben der Vespa kein überzeugenderes Modell für Einfachheit gepaart mit letzter Zweckmässigkeit zu finden. In kurzer Zeit wird die zweimillionste Vespa auf die Strasse kommen, und es ist recht müssig, diesen absolut einmaligen Erfolg anderswo als in ihrer Auslegung, in ihren konstruktiven Anlagen suchen zu wollen. Der innere Aufbau wie die äussere Form haben sich seit dem Vespa-Urmodell aus dem Jahre 1946 grundsätzlich nicht verändert, und es ist keine leere Prophezeiung, dass irgendein neues Vespa-Modell auf genau der gleichen Bau- und Formlinie liegen würde wie bisher. Dies und die enorme Gesamtherstellungsziffer sind ein offenkundiger Beweis für die Gültigkeit ihrer Konstruktion, der weder heute noch morgen irgendwelche Alterserscheinungen nachgewiesen werden könnten.

Während üblicherweise im Rollerbau Blechteile und Rohrfahrwerk funktionell nebeneinander stehen und so nur die Endsumme der Einzelteile merklich vermehren, kennt die Vespa überhaupt kein Rohrgebilde von Steuerkopf zu Hinterradpartie. Es ist ein selbsttragender Aufbau, tragendes Element zwischen Vorderrad- und Hinterradpartie sind ausschliesslich die sichtbaren Blechteile wie Frontschild, Bodenbrett un der vom Steuerkopf bis zum Motorteil reichende verschweisste Blechtunnel, ein für die gegebenen Vespa-Geschwindigkeiten ausreichend formsteifes Gefüge. Eines der Glanzstücke der Vespa-Kontstruktion, liegt unter Blech, es ist die Vorderradführung, keine Gabel. sondern wo sonst Gabel und Lenkschaft mit unvermeidbaren Verbindungsstellen notwendig sind, kommt die Vespa mit einem einzigen Rohr aus Chrommolybdänstahl aus. Es läuft als Lenkschaft durch den Steuerkopf, trägt oben den Profillenker mit Scheinwerfer, während das untere Ende nach den Austritt aus dem Steuerkopf einfach seitlich dem Rad ausweicht, etwas nach vorn gekröpft ist und dann neben dem Vorderrad mit der sehr breiten Lagerung für die geschleppte Schwinge abschliesst. Eine offene Schraubfeder dazu und ein Dämpfer, das ist die ganze Vorderradführung und -Federung der Vespa, die automässige Radmontage bietet und alles in allem letzte Einfachheit bei einwandfreier Funktion darstellt.

Der Radstand ist extrem kurz, und demzufolge ist auch der Lenkwinkel klein, seine Gradzahl 20 hat Seltenheitswert, der Steuerkopf steht dadurch sehr steil, deshalb liegt der Lenker auch weit vorn, und diese Lenkerposition brachte den Fahrersitz und damit auch das Fahrgewicht weit genug in Fahrzeugmitte, um diesen Roller mit "Heckmotor" nicht hecklastig werden zu lassen. Erwiesenermassen kann man diese Frontpartie durch viel Gas und schnelles Einkuppeln am Start schon einmal störrisch machen, sie kommt hoch, aber zu einem Salto mortale reicht es nicht. Vorsicht mag höchstens beim Start auf sehr steilen Steigungen, erst recht mit Sozius, anboten sein. Ein Zahlennachweis sagt auch, dass die Vespa keinesfalls ständig darauf wartet, vorn hochzugehen: Bei Solobesetzung lasten auf dem Vorderrad 35 Prozent, auf dem Hinderrad 65 Prozent des Gesamtgewichts, zwei Werte, die vom theoretischen Schulfall gar nicht so weit abweichen, denn der diktiert 40 Prozent vorn und 60 Prozent hinten. Der sehr kurze Nachlauf von nur 45 mm zusammen mit dem kleinen Lenkwinkel mach die Vespa ausserordentlich leicht lenkbar. Sie ist gottlob das Gegenteil von kopflastig, denn die ganze Steuerkopfpartie ist mustergültig leicht gehalten und nicht mit Batterien, Handschuhkasten oder gar Kraftstofftank behängt.

Während die Vorderradfederung langhubig und mit denkbar kleinsten ungefederten Massen arbeitet, ist die einseitige Schwinge für das Hinterrad mit dem ganzen Triebwerk belastet. Motor und Schwinge bilden eine Einheit, jedoch als Sonderfall: Triebsatzschwinge mit Motor nicht vor, sondern direkt über der Schwinge, und so in unmittelbarer Nähe der Hinterradachse gerückt, zur Ueberbrückung des Kraftflusses von Kurbelwelle zu Radachse genügt ein Stirnradpaar als Primärantrieb, die Radachse liegt prompt in Flucht der Getriebe-Antriebswelle! Das ist ein konstruktiver Wurf, wie ihn die Rollertechnik seither nicht wieder gesehen hat. Keine Kette, kein Kardan, keine Kegelräder, kein Aufwand dafür, keine Kümmernisse damit. Das ist geniale Vespa-Einfachheit, gekennzeichnet durch eine Getriebe-Antriebswelle, die unmittelbar das Laufrad betreibt, die Ihre Schaltvorrichtung in Form eines ziehkeilartig wirkenden Schaltkreuzes in sich trägt und am äusseren Ende auch noch den Kickstarter angreifen lässt. Kupplung und Lichtmagnetzünder mit Gebläserad sitzen auf der Kurbelwelle.

Das Eigengewicht der Vespa liegt weit unter dem vergleichbarer Roller: 111 kg, das ist Leichtbau reinsten Wassers, und wo findet man schon die gleiche Handlichkeit und einen gleich grossen Gepäckraum, jene linksseitige, der Symmetrie dienende "Blase", in der auch die Batterie ihren Platz hat. Kein Elektrostarter, dafür ist der Kickstarter so übersetzt, dass der Motor bei jedem Tritt mindestens vier Umdrehungen macht, das ist viel, und er ist startfreudig dazu. Technisch etwas provisorisch anmutend die aussenliegende Gangarreteirung, aber zur Fettversorgung leicht zugänglich.

Vespa 150 und Vespa Grand Sport 150: Die aufrichtigsten und auch konsequentesten Rollerkonstruktionen unserer Tage. Gewiss, eine selten hohe Bewertung. Aber bestätigt von nahezu zwei Millionen Vespen!