Drei-Meere-Fahrt Von Ilse Thoure In Bari (Süditalien) war der
Start zur „Drei-Meere-Fahrt“. 2200 km mussten in 10 Etappen und 6 Fahrtagen
bewältigt werden. Die Sonne hatte uns schon 3
Tage erbarmungslos auf den Kopf gebrannt, als wir in Bari ankamen. Der Himmel
wolkenlos und tiefblau das weite Meer. Von einem der fünf hohen Masten wehte
die deutsche Fahne zum Zeichen dafür, dass neben Spaniern, Franzosen,
Schweizern und Italienern auch sechs deutsche Fahrer an diesem grossartigen
Wettbewerb teilnahmen. Eine offizielle Manschaft vom Vespaclub Deutschland, die
aus Hans Wloch, Horst Jungblut und Elga Thouret bestand. Ausserdem hatten noch
zwei Fahrer und eine Fahrerin aus Karlsruhe gemeldet. Zur Betreuung der
Deutschen war ich dabei, auf einem DKW-Sportwagen, der ein grosses Schild mit
der Aufschrift:“Stampa“ – zu deutsch „Presse“ – führte.
Am Anfang ahnte noch keiner
von uns. Was uns alles blühte. Am Anfang, solange die Strassen an der Küste
entlangliefen, blühten Büsche in den herrlichsten Farben und säumten neben
Palmen und braungebrannten Menschen den langen Weg. Diese Menschen dort im
Süden! Sie haben ein unwahrscheinliches Temperament, und wo nur ein Fahrer
aufkreuzte, kannte ihre Begeisterung keine Grenzen. Sie klatschten in die
Hände, sie schrien und jubelten. Ganz aus dem Häuschen jedoch gerieten sie.
Wenn eine der teilnehmenden charmanten Frauen vorbeiraste. Da war eine kleine
Französin, „ein süsses Mädel“ würde man hier sagen, mit einer
rotweisgestreiften Hose und einem engen Jäckchen nach der letzten Mode
angezogen, den Sturzhelm auf die dunklen Locken gestülpt. Da waren drei
Italienerinnen, dunkelhaarig, mit funkelnden Auge, die eine davon kaum 15 Jahre
alt. Das Mädel aus Karlsruhe benutzte ihren Urlaub, um erstmalig so eine Fahrt
mitzumachen, und das war immerhin mutig. Und Elga Thouret, die doch schon
einige Routine mitbrachte, hatte sich der südlichen Mode in ihrer Farbenpracht
ein wenig angepasst. Sie trug eine azurblaue Leinenhose mit einer
leuchtendroten Ninoflexjacke. Alle Mädels fuhren schneidig und, wenn es drauf
ankam, voller Mut und verwegen. Die Italiener und besonders die Sizilianer
umlagerten so auch voller Bewunderung ihre Vespas, wo sie auch nur für
Augenblicke anhielten.
Solange nun die Strasse an
der Küste entlanglief, war alles zu ertragen. Doch bald ging es mit unzähligen
Serpentinen in die Berge. In einsame, dürre Berge mit viel Steinen. Und hier
blühten den Fahrern nur noch Kurven, Kurven und nochmals Kurven. Es wurde aus
dem fahren eine elende Dreherei. Die Vespas müssen auf der ganzen Strecke einen
Schnitt von 50 km/h halten, und das will etwas heissen. Das will heissen:
Aufdrehen und den Roller durch die Kurven ziehen – rechts – links – rechts –
links. Und wenn die Kehre, die enge, kein Ende nimmt, dann um Gottes willen
nicht weich werden, sondern noch tiefer runterwinkeln – dann geht es gerade
noch - so gerade eben ! – Da heisst es
aber auch aufpassen, und die Konzentration darf um alles in der Welt nicht
einen Augenblick nachlassen, denn in den Dörfern und Ortschaften stehen tausende
von Menschen. Die winken und schreien – und wie sie schreien, diese Südländer –
und klatschen! Es ist dann eine lebende Gasse, durch die man jagt, eine lebende
Gasse von Menschen, Kindern, alten Frauen. Hunden und Katzen. Arme Menschen zum
grössten Teil da in den Bergen, die Kinder barfuss und oft nur mit einem kurzen
Hemdchen bekleidet. Und komische, immer dann, wenn Fahrer angebraust kamen,
hatten sie den Einfall, doch noch schnell über die Strasse zu laufen –
vielleicht – dachten sie wohl – vielleicht
kann man auf der anderen Seite noch besser sehen. Es ging dann immer
noch gerader gut – weiss der Himmel, wieso. Aber Nerven kostete das –
unwahrscheinlich viel Nerven! Und die Polizei, die mit grossem Aufgebot dort
absperrte, war machtlos gegen soviel Temperament. Das Wort „Disziplin“ scheint
es in dem dortigen Wortschatz nicht zu geben.
In Catenzaro gab es dann für
die besten Leistungen Pokale. Bei den Frauen war es Elga, die einen silbernen
Pokal erhielt. Es war schon eine Kunst,
trotz Erreichens des 50er Schnitts am jeweiligen Etappenziel keine Strafpunkte
zu bekommen. Auf dem letzten Kilometer, der mit einem grossen Schild
angekündigt wurde, durfte nämlich nicht mehr angehalten werden, und man musste
versuchen, auf die Sekunde genau in die Zeitkontrolle einzufahren. Da gab es
Karenzzeit, die wir doch bis zu drei Minuten gewöhnt sind. Es wurde mit
Chronometern gestoppt, und für jede Sekunde zu früh beispielsweise gab es zwei
Strafpunkte. So gelang es selbst dem besten Fahrer nicht, auf die Dauer strafpunktfrei
zu bleiben.
Am nächsten Tag weiter über
die verdörrten Berge, durch glühende Hitze und Staub nach Reggio. Die grosse
Fähre nahm ohne Schwierigkeit die vielen begleitenden Wagen und die 150 Fahrer
in sich auf und brachte alles sicher nach Messina. Die Fahrt rund um Sizilien
ging unter Polizeigeleit. „Sicher ist sicher“ sagte man sich. In den einsamen
Bergen Siziliens musste wieder toll gezaubert werden. Am Wege stehen grosse
Kakteen. An tellerförmigen Gebilden recken sich die Knospen wie Finger an einer
Hand. In den unzähligen Kurven und Kehren recken sich hunderte solcher Hände
zum Himmel empor und mahnten die Fahrer immer wieder zur Vorsicht. Maulesel
begegnen uns, hoch mit Korn beladen. Maulesel, die Karren mit reifen Früchten hinter sich herziehen. Sie können nicht
unentwegt hupen, wie die grossen Lastwagen es tun, sie können sich nur
respektvoll an der Seite halten und mit blinzelnden Augen dem ungewohnten
Treiben erstaunt zusehen. Die Romantik der kleinen Ortschaften, durch die gejagt
wird, wird zerrissen durch das ewige Hupenkonzert welches man anstimmen muss, um
heil durchzukommen. Anders geht es wirklich nicht. Die Häuser sind ärmlich und
schmucklos, ausgenommen die viele Wäsche, die wohl vor jedem Haus zum Trocknen
prangt.
Siracusa - Agrigento – Palermo. In Palermo ist ein Ruhetag.
Ein wohlverdienter. Doch was heisst in Sizilien Ruhe? Die
Vespas sind umlagert von grossen und kleinen Kindern – Kindern mit Augen, so
dunkel und gross wie reife Kirschen. Wo kommen bloss die vielen Kinder her,
denkt man immer wieder. Es wimmelt sozusagen davon, und noch mitten in der
Nacht spielen, toben und schreien sie auf den Strassen. In Palermo gibt es wieder
silberne Pokale für die Deutschen. Hans Wloch hat sich einen errungen für seine
hervorragende fahrerische Leistung und auch Elga Thouret wird wieder mit einem
Silberpokal ausgezeichnet. Fräulein Ziegler aus Karlsruhe bekommt ebenfalls
einen Pokal überreicht, der vierte nun schon für die Deutschen. So herrscht
Freude und Zuversicht. Zuversicht war auch nötig für die letzte Etappe, die
unerhörte Anforderungen an die nun schon ermüdeten Fahrer stellte. Die
Deutschen fühlen sich dazu noch elend von der ungewohnten Hitze und dem ebenso
ungewohnten Essen. Hans Wloch wird sogar vom Arzt der weitere Start verboten,
da er mit Fieber und Schüttelfrost liegt. Nun – er kannte Hans Wloch schlecht.
Um alles in der Welt wollte er nicht zurückbleiben. Und so war er am letzten
Tag doch noch dabei. Er und alle Deutschen hielten auch dieser 600 km langen
schwersten Etappe ohne Pause glänzend durch. Trotz Hitze, Staub und
Kurvendreherei. Diese Kurven! Ich habe einmal gezählt. Nach meiner Stoppuhr. In
fünf Minuten 35 Kurven. Und am Schluss sagte man mir, dass es auf der 2200 km langen Strecke 15000 Kurven gewesen
wären! Ganz schön. Ich konnte froh sein, dass mein kleiner DKW Frontantrieb
hatte und mir so erlaubte, mit vollem Zunder durch die Kurven zu jagen. In
Neapel wurden die Fahrer, am Ziel ankommend, wie Helden gefeiert. Und – ehrlich
gesagt – wohlverdient. Sie hatten eine mörderische Fahrt durchgestanden. Die
sechs Hoffmann-Vespas aus Deutschland wurden allgemein bewundert, und zu den
bisher vier gewonnenen Silberpokalen kamen noch drei für ausländische Fahrer
dazu. Davon erhielt Horst Jungblut einen, so dass dieser junge, talentierte
Fahrer für seine grosse sportliche Leistung auch noch die verdiente Anerkennung
fand. Entnommen der Roller Revue
Nr. 6 / September 1953